Neue Aufbrüche im „Quartier Horb“

In Horb am Neckar haben sich die örtlichen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen zusammengetan, um auch solchen Menschen mehr gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, deren soziale Situation Teilhabe oftmals erschwert ist. Mit einem ungewöhnlichen Pilgerweg ging es los: Bürgerinnen und Bürger, Kirchengemeinderätinnen und Sozialarbeiter wanderten in Horb am Neckar die Stellen ab, an denen Kirche und Diakonie präsent sind. Neue Begegnungen ermöglichten das „mobile Wohnzimmer“ vor dem Bahnhof mit Spieleangeboten für Horber Jugendliche und Kontakt- und Gsprächsmöglichkeiten für Menschen in sozialen Notlagen – sowie ein besinnlicher Nachmittag bei der „Wärmeflansche“.

Kooperation innerhalb von Aufbruch Quartier

„Bei unserer Wanderung wurde sichtbar, was wir jetzt schon alles im Quartier machen“, berichtet der Diakon und Sozialarbeiter Benjamin Volz vom diakonischen Sozialunternehmen Erlacher Höhe. Er hat innerhalb des Diakonieprojekts „Aufbruch Quartier“ eine Kooperation initiiert, in der Einrichtungen der Evangelischen Kirche, der BruderhausDiakonie und der Erlacher Höhe in Horb sowie die diakonischen Bezirksstellen Sulz und Freudenstadt zusammenarbeiten. Das Ziel der Gruppe: mehr Teilhabe für Menschen zu ermöglichen, deren soziale Situation Teilhabe oft erschwert.

Unterwegs ins Horb – Auftaktwanderung durchs Quartier

Die Auftakt-Wanderung führte zu einem Fachpflegeheim, zu einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung, zu einer Kleiderkammer, zu einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, zur evangelischen Kirche und zu einem Beratungszentrum in der Innenstadt. „Das hat die Kontakte untereinander verbessert, für gute Resonanz gesorgt und öffentliche Aufmerksamkeit gebracht“, ist Volz überzeugt.

„Flansche“ verbindet Menschen und Institutionen

Die Kooperationspartner gaben sich den Namen „Horber Flansche“. Denn ein Flansch ist ein ringförmiges Teil, das Rohre oder Maschinenteile miteinander koppelt – ein Verbindungsstück also. „Wir profitieren gegenseitig von der Vernetzung“, bestätigt Sozialarbeiter Uwe Welsch. Er ist Teamleiter Ambulante Hilfen im Jugendhilfeverbund Kinderheim Rodt der BruderhausDiakonie. Die Aktivitäten der Kooperationsgruppe, sagt er, konzentrierten sich zunächst vor allem auf die Kernstadt von Horb. Eine besondere Rolle spiele die Örtlichkeit, an der eine Aktion stattfindet. „Das sollte ein Platz sein, an dem ohnehin Menschen zusammenkommen“, betont Welsch.

Das mobile Wohnzimmer vor dem Horber Bahnhof

Auch der evangelische Pfarrer ist beim mobilen Wohnzimmer dabei

Deshalb wählte die Kooperationsgruppe für ihre ersten Aktionen den Bahnhof in Horb aus – mit dem Ziel, Wohnungslose sowie ärmere Jugendliche anzusprechen. Dafür rollte die Projektgruppe am Bahnhof ein mobiles Wohnzimmer aus: mit einem Pavillon, Sofas, Teppich, Tisch, Getränken und Keksen. „Die Gemütlichkeit ist wichtig“, weiß Welsch. Anfangs hätten die Passanten verhalten reagiert, „aber wir sind bald ins Gespräch gekommen“. Die Menschen kamen zahlreich, tauschten sich aus, suchten Rat. Der evangelische Pfarrer Michael Keller war ebenfalls vor Ort und führte viele Gespräche. „Alleine die Frage, wie es geht, reicht oft“, berichtet Sozialarbeiter Volz. „Um in Kontakt zu kommen, braucht es wenig.“

Gespräche und Begegnungen im Horber mobilen „Wohnzimmer“

Eine weitere Aktion am Bahnhof richtete sich an einen größeren Kreis von Horber Jugendlichen. Auch Mitarbeiter des städtischen Jugendreferats und der mobilen Jugendarbeit der Caritas beteiligten sich daran. Neben dem mobilen Wohnzimmer gab es Spielangebote. Besonders beliebt: das sportliche Kampfangebot mit Schwertern aus Schaumstoff, sogenannten Batakas. Im Verlauf des Nachmittags
schauten gut 30 Interessierte vorbei. „Dabei haben wir bis auf ein Schild vor Ort keine Werbung gemacht“, berichtet Welsch. Einige Kinder und Jugendliche seien in Gruppen gekommen. Gespräche entwickelten sich spontan und unverbindlich. „Es waren viele sozial schwache Kinder dabei, die wir sonst seltener erreichen“, sagt Welsch. Er habe aber auch mit einer alleinerziehenden Mutter und einem Kind im Rollstuhl sowie einem Mann mittleren Alters gesprochen, der Kontakt suchte. „Das Ziel, ins Gespräch zu kommen und näher an die Leute zu rücken, wurde definitiv erreicht“, ist sich Welsch sicher. Wie seine Kollegen auch, verteilte er an den Aktionstagen seine Visitenkarte. Denn wenn der erste Kontakt einmal
hergestellt sei, so Welsch, erleichtere das weitere Kontakte und Gespräche.

Trotz winterlicher Bedingungen haben sich Seniorinnen und Senioren dieser Tage auf den Weg gemacht und das letzte Angebot der” Kooperationsgruppe Aufbruch im Quartier” im Jahr 2022 angenommen. Sie trafen sich im Horber Gemeindehaus zu einem besinnlichen Nachmittag in warmer Stube. Der Termin war von Diakonie und evangelischer Kirche in Horb extra auf den 15. Dezember gelegt worden, da im Anschluss eine Kirchengemeinderatsversammlung stattfand. Somit war der Raum in Zeiten explodierender Energiepreise nicht eigens für die „Flansche“ aufgeheizt worden.

Gemeinsam vorhandene Ressourcen nutzen

Die Motivation der Partner beim Projekt Horber Flansche sei sehr hoch, sagt Benjamin Volz. Im Sozialkaufhaus Kommode der Erlacher Höhe sei zum Beispiel mit kurzer Vorbereitungszeit ein Gottesdienst organisiert worden. „Da waren Leute dabei, die noch nie vorher einen Gottesdienst und eine Kirche besucht haben“, so Volz. „Interessant ist außerdem der fachliche Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen anderer diakonischer Träger“, sagt Welsch. Mit dem mobilen Ansatz ergänze man sich gegenseitig. Vorhandene Einrichtungen und Gebäude sollen künftig ebenfalls stärker gemeinsam genutzt werden. Zusammen mit der örtlichen Projektgruppe Soli-Essen bereiten die Horber Flansche zudem eine Vesperkirchen-ähnliche Aktion während der „Woche der Armut“ vor: Die warme Gulasch- oder Gemüsesuppe zum Mittagessen bezahlt, wer dazu in der Lage ist. Wer wenig Geld hat, bekommt die Mahlzeit kostenlos. Künftig seien auch mit den katholischen Trägern sowie der Stadt Horb engere Kooperationen denkbar, erläutern Benjamin Volz und Uwe Welsch. Schwerpunkt der Aktivitäten bleibe die Horber Kernstadt.
Quelle: Andreas Straub, BruderhausDiakonie sozial


Vorgeschichte und Entwicklungszeit: Von der Idee zum Modell

„Neue und bestehende Akteurinnen und Akteure aus dem kooperierenden Netzwerk möchten einen Treffpunkt für Personen am Rande unserer Gesellschaft aufbauen, in dem sich die sozialen Grenzen durch Begegnung und Austausch auflösen und niederschwellig Hilfsangebote leichter zugänglich gemacht werden können“. So lautete die kurze und knackige Beschreibung dessen, was sich die Vertreterinnen und Vertreter von Erlacher Höhe, Evangelischer Kirchengemeinde, BruderhausDiakonie und Diakonischer Bezirksstelle in Horb und Umgebung in Kooperation mit „Aufbruch Quartier“ vorgenommen hatten: Gemeinsam etwas entwickeln, das einen als Institutionen zusammenschweißt und gleichzeitig den Menschen im Quartier gut tut.

Unterwegs mit dem „Sozionauten“-Programm

„Sozionauten“ hieß das Begleitprogramm, in dem Kreativität, Um-die-Ecke denken und Marktorientierung groß geschrieben werden. „Eine Lösung für ein soziales Problem finden“ ist das Motto der Sozionauten. Und das möglichst so, dass gleich ein richtiges Geschäftsmodell daraus werden kann. Im Rahmen des Projekts Aufbruch Quartier waren die Horber Teil einer größeren Gruppe, die sich im Jahr 2022 regelmässig im Freiburger „Grünhof“ traf. Mit Projektmitteln unterstützt, ermöglicht es den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, ausserhalb des Alltags und vielfach angeregt neue Wege zu denken und erste Schritte auszuprobieren.

Mobil an die Orte, wo die Menschen sind

Nach einem halben Jahr im Sozionauten-Programm waren die Horber so weit, dass sie mit einem Mobil immer in der Gemeinde dorthin fahren wollten, wo die Menschen sich treffen – wie zum Beispiel am Bahnhof. Dort angekommen, sollten dann ihre Angebote förmlich ausgerollt werden und zu Begegnung und Austausch einladen. So wird nicht nur Teilhabe für Menschen möglich, die sich aufgrund ihrer sozialen Situation oft damit schwer tun. Es kommt auch zu Begegnungen von Menschen, die unterwegs sind, einfach nur zufällig vorbeikommen – oder sich einfach für das Angebot interessieren. Fast alles ist möglich, wenn das rollende Mobil Station macht: Einen Kaffee trinken und klönen, ein neues Brettspiel ausprobieren oder ein wenig „Public Viewing“ mit anderen. Wer Rat braucht, findet hier erste Ansprechpartner, wer ein Gespräch sucht, Menschen, die zuhören. Und es kann natürlich auch ein Gottesdienst gefeiert oder Musik gemacht werden. Man könnte auch sagen: In Horb wagt man jetzt noch konsequenter als bisher den Schritt von der „Komm-Struktur“ zur „Geh-Struktur“.

Beim letzten Treffen in Freiburg war dann kräftig an einem Modell gearbeitet worden. „Prototyping“ nennt sich das, wenn man zu Klebstoff, Schere und Tacker greift. Heraus kam ein dreidimensionales Modell, bei dem sich die Umsetzung bereits plastisch zeigen und erleben lässt. Im nächsten Schritt ging es darum, dies in der Praxis – zunächst einmal auf kleiner Flamme – auszuprobieren und im Rahmen des Sozionauten-Programms zu präsentieren. Letztendlich kam die Umsetzung in Form der „Horber Flansche“ dabei heraus, mit dem die Horber jetzt an verschiedensten Orten immer wieder in der Stadt präsent sind.


Eine ungewöhnliche Pilgergruppe

Bereits im letzten Jahr hatten Diakonie und Kirche in Horb mit einem Pilgerweg begonnen, gemeinsam das Quartier, den Ort zu erobern. Eine ungewöhnliche Pilgergruppe war es, die sich am Eingang des sozialpsychiatrischen Zentrums in der Horber Innenstadt versammelt hatte. Bürgerinnen und Bürger, Kirchengemeinderätinnen, Sozialarbeiter und Dienststellenleiter. Sie alle hatten sich auf den Weg gemacht, um gemeinsam Orte zu erkunden, an denen Kirche und Diakonie im Quartier Horb präsent ist. Im Projekt „Aufbruch Quartier“ wollten sie sich besser kennen lernen und ihre Angebote bündeln. Ziel: Gemeinsam mehr und zielgerichteter als bisher gegen Armut und Wohnungslosigkeit im Quartier tun. Der Pilgerweg war damit der erste Schritt dieser übergreifenden, für alle sichtbaren und wirksamen Zusammenarbeit. 

Projektleiter Benjamin Volz berichtet: “Die neu gegründete Kooperationsgruppe „Aufbruch Quartier“, bestehend aus den Horber Einrichtungen der evangelischen Kirche, der Bruderhaus Diakonie und der Erlacher Höhe, sowie den diakonischen Bezirksstellen Sulz und Freudenstadt, hat sich in der „Kommode“ Horb getroffen, um sich buchstäblich gemeinsam auf den Weg zu machen. Pünktlich zu Beginn der Aktion „Pilgerweg“ hat auch das Wetter mitgespielt und mit schönem Sonnenschein die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verwöhnt.

Zusammen ist man mit ca. 20 Besucherinnen und Besuchern los gelaufen und hat neben dem Fachpflegeheim Spitalhof auch am evangelischen Kindergarten, an der Fachberatungsstelle der Erlacher Höhe sowie der Werkstatt für Behinderte der Bruderhaus Diakonie Halt gemacht um mehr über die diakonischen und kirchlichen Einrichtungen in Horb zu erfahren.

Neue Einblicke in die Partner-Institutionen

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der einzelnen Institutionen gaben interessante Einblicke in die Arbeit und Aufgaben ihrer Einrichtungen an die Anderen Teilnehmer weiter. Neben guten Gesprächen und dem sich näher kennen lernen stand auch der christliche Glaube im Mittelpunkt. Benjamin Volz, Sozialarbeiter der Fachberatungsstelle/Erlacher Höhe in  Horb und offizieller „Kümmerer“ der neu gegründeten Kooperationsgruppe gab unter Anderem den Impuls, sich im Alltag doch immer wieder  zu besinnen, um Hinweise auf wichtige Lebensfragen im Austausch mit Gott erkennen zu können.  

Eines der vielen Highlights war der „Kugler Hang“, über den die Gruppe hinunter zur Bildechinger Steige gelaufen ist. Für viele Mitlaufende hat sich hier Horb von einer noch nicht gekannten „alpinen“ Seite gezeigt die faszinierte und gleichermaßen zur Besinnung einlud. Seinen Ausklang fand der Pilgerweg am Alten Freibad wo die Gruppe die Gelegenheit nutzte sich mit Essen und kühlen Getränken zu versorgen und gemeinsam ins Gespräch zu kommen.”

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