Die Kirche muss bleiben, denn sie ist zentral für die Entwicklung von Quartieren

Der Abriss einer Kirche polarisiert, egal für welchen Zweck die Bagger an den Mauern reißen. Kirchen sind Orte der Gemeinschaft und geben den Quartieren eine Identität. Doch viele sind in die Jahre gekommen, die Besucher bleiben aus, neue Bedürfnisse
entstehen. Welche Zukunft haben leer stehende Kirchen und ihre Grundstücke im Quartier? Die Frage nach Abriss oder Erhalt stellt sich – egal ob in der Stadt oder im
ländlichen Raum. Darüber sprachen rund 100 Teilnehmende bei einer Tagung von Dialogforum der Kirchen und Evangelischer Akademie Bad Boll am 25. April 2022 im Haus der Katholischen Kirche Stuttgart. Die Veranstaltung in Kooperation mit dem Projekt Aufbruch Quartier hat Mut gemacht, dieses sensible Thema auf die Agenda zu setzen und hat – auch mit Beispielen aus dem Projekt Johannesforum Wendlingen (siehe unser Titelbild mit Pfarrer Peter Brändle) – Perspektiven des Möglichen aufgezeigt. Weitere Informationen hier …

Die Tagung fand großen Zuspruch und lebte von engagierten Beiträgen

Hochemotionale und herausfordernde Projekte

Studienleiterin Dr. Kerstin Renz berichtet: „Die Kirche als Zentrum im Dorf, die Siedlung aus den 1960er Jahren mit Kirche und benachbartem Gemeindehaus als Mittelpunkt – das sind vertraute Bilder, deren Fortbestand jedoch nicht selbstverständlich ist. Zusammenlegungen, Mitgliederschwund, Leerstand von Kirchen und kirchlichen Immobilien sind die Herausforderungen von Morgen. Mit ihrer oft zentralen Lage, ihrer Größe und ihren teils wertvollen Freiflächen bilden kirchliche Immobilien für die  integrative Quartiersentwicklung und die Neuaufstellung der Gemeindearbeit zentrale Möglichkeitsräume.

Erstmals seit Beginn der gemeinsam mit dem Dialogforum der Kirchen in der Region Stuttgart durchgeführten Reihe „Impulse für die IBA“ stand bei der Tagung die Frage im Mittelpunkt, wie kirchliche Immobilien in Zukunft Impulse zur Quartiersentwicklung, zum Leben Wohnen und Arbeiten in der StadtRegion leisten können. Die Kirchen sind in den Städten und Dörfern die Alteingesessenen, sie sind es, die Identität, Orientierung und Begegnung anbieten – also genau die Bausteine, die Quartiere brauchen, um zu funktionieren. Welche Zukunft haben leerstehende Kirchen und ihre Grundstücke im Quartier? Erhalten, umwidmen oder gar abreißen: Was ist die beste Lösung – für die Kirchengemeinde und das Zusammenleben im Quartier?

Diese Fragen beschäftigten rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Kirchengemeinden, den Kommunen, aus der Architektur und der Stadtplanung an einem Montagnachmittag im Haus der Katholischen Kirche. Was brauchen die Menschen vor Ort im Quartier und was können kirchliche Liegenschaften und Immobilien dazu beitragen?

Dafür bot die Tagung unterschiedliche Angebote der Orientierung und Information. Die zu Kirche und Quartier forschende Stadtplanerin und Architektin Prof. Kerstin Gothe, formulierte in ihrem Eingangsreferat sieben Thesen dazu, warum Kirchen nicht den rein ökonomischen Bewertungskriterien des gebauten Bestandes unterworfen werden sollten. Pfarrer Prof. Ralph Kunz (Zürich) plädierte in seinem Impuls „Gott wohnt im Quartier“ für die immer noch und immer wieder gute Idee der Quartierskirche: Das Wohnen bleibe nun mal die zentrale lebensweltliche Konstante, Kirche müsse nahbar bleiben, aber auch ins Quartier hinein wirken. Leerstand und kirchliche finanzielle Engpässe bedeuteten nur, dass neuen Nutzungsformen zu öffnen seien. Zwei Beispiele aus der StadtRegion illustrierten die Bandbreite der Lösungen, wie Quartier und Kirche heute miteinander wirken können: Christoph Welz (Projektleiter der Siedlungswerk GmbH) und die Franziskanerin Sr. Marie-Pasquale Reuver berichteten von der Umwandlung der Vinzenz-Pallotti-Kirche in Stuttgart-Birkach in das heutige Quartier St. Vinzenz Pallotti und beschrieben das dort stattfindende Quartierspastoral. Architekt Gerald Klahr (Studio Prinzmetal) erläuterte den aktuellen Umbau der Martinskirche in Stuttgart-Nord: Räume für die Jugendkirche, für zwei unterschiedliche Kirchengemeinden und eine Ausstellungs- und Bistrofläche bilden hier künftig einen öffentlichen Raum im Quartier.

Ein hochemotionales und herausforderndes Projekt war der Abriss der Johanneskirche in Wendlingen für das neue Johannesforum der Bruderhaus-Diakonie, es berichtete der neu nach Wendlingen berufene Pfarrer Peter Brändle. Diakon Götz Kanzleiter stellte am Beispiel Wendlingen die Arbeit von „Aufbruch Quartier“ des Diakonischen Werks Württemberg vor. Noch ganz am Anfang stehen die Pläne, die Gebäude der Christus-Erlöser-Gemeinde in Stuttgart-Botnang zu einem neuen Mittelpunkt im Quartier zu entwickeln. Sacha Rudolf vom Team der IBA´27 erläuterte die städtebauliche Ausgangslage.

Auf dem Podium diskutierten Prof. Susanne Dürr (Vizepräsidentin der Architektenkammer Baden-Württemberg), Gerald Wiegand (Leiter des Referats Bauberatung der Württembergischen Landeskirche) sowie Dr. Thomas Schwieren, Diözesanbaumeister der Diözese Rottenburg-Stuttgart die Frage, wie der Quartiersgedanke künftig noch prominenter in die bauliche Entwicklung der Gemeinden integriert werden könne. Einigkeit bestand darin, dass kirchliche Bauten natürliche „Talente“ hätten, die im Quartier auch künftig nachgefragt werden.

Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, diese Talente für die Quartiere in den Ballungszentren und im Ländlichen Raum zu nutzen und trotz gebotener Beteiligungsverfahren eine effektive und echte Planungspartnerschaft von Gemeinden, Kommunen und ausführenden Planungsbüros zu erreichen. „Muss die Kirche weg?“ – im Gegenteil: Kirche muss bleiben, damit gutes Leben im Quartier gelingt. Die komplett ausgebuchte Tagung hatte einen Nerv getroffen. Sehr deutlich wurde, dass Kirchengemeinden sich mehr Information, Inspiration und Vernetzung wünschen, wenn es um die Transformation und/oder Weiterentwicklung Ihrer kirchlichen Immobilien geht. Kirche soll und will Mittelpunkt im Quartier sein und bleiben, das ist die Botschaft, die von der Tagung ausging.“

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